von Nadin Matthews /
www.dogument.de
Waren Sie schon mal verliebt? Erinnern Sie sich an das Gefühl der
Euphorie? Wie Sie dämlich grinsend durch die Welt liefen, kaum essen
konnten, zu einem vernünftigen Gespräch nicht in der Lage waren,
dafür aber vor Energie fast geplatzt sind? Sie haben ihren Körper noch
nie in diesem Ausnahmezustand erlebt? Dann werden Sie auch nie
einen jagenden Hund verstehen!
Jedes Mal, wenn Sie versuchen Ihre beste Freundin anzurufen, antwortet sie
mit hoffnungsvoller Stimme. Doch sie erwartet nicht Ihren Anruf, sondern den
eines anderen Menschen. Sobald klar ist, dass es „nur“ Sie sind, schleicht
sich eine kaum verhohlene Enttäuschung in ihre Stimme. Ihre Freundin ist
verliebt, ihr Fokus liegt jetzt ganz woanders. Essengehen mit ihr ist ein Ding
der Unmöglichkeit, sie bekommt keinen Bissen herunter. Themen, die sich
nicht um den von ihr begehrten Menschen drehen, sind völlig uninteressant.
Gemeinsame Pläne spielen keine Rolle mehr. Zu keinem klaren Gedanken
fähig, zu keiner Arbeit in der Lage, wartet sie nur auf den Moment, ihn
wiederzusehen. Ihr ganzer Körper spielt verrückt.
Genau das ist es, was passiert, wenn Menschen sich verlieben. Eine
italienische Psychologin beschrieb das Verliebtsein einst als eine Form von
„vorübergehender Verrücktheit“: beim Anblick des geliebten Objekts weiten
sich die Pupillen, das Herz schlägt schneller, der Blutdruck steigt. Schuld
daran sind Hormone, in erster Linie der Botenstoff Dopamin. In den
Hirnregionen, in denen die Motivations- und Belohnungszentren liegen, steigt
der Spiegel des Dopamin stark an. Bedürfnisse wie Hunger, Durst oder
Schlaf werden unterdrückt. Kein Wunder, dass manche Wissenschaftler die
Ansicht vertreten, „verliebte Menschen sollten krankgeschrieben werden“, weil
sie nicht mehr in der Lage sind, ihren Job ordentlich zu erledigen.
Und jetzt stellen Sie sich Ihren Hund vor, der gerade jagt. Taub für ihr
Gebrüll, Gepfeife oder andere Versuche, ihn zu stoppen, rast er über das
Feld, weil er am Waldrand ein Reh gesichtet hat. Dabei haben Sie doch alles
gegeben: besser als jeder Windhund scannen Sie die Umgebung ein und
lauschen auf jedes Knacken im Unterholz. An Stellen, an denen Ihnen schon
einmal Wild über den Weg gelaufen ist, versuchen Sie über immer neue
Suchspiele den Hund abzulenken. Sie rufen ihn häufig mit einem lockeren
„Hier“ heran, um es nicht nur dann zu tun, wenn es eine schwierige Situation
gibt. Das mit der Schleppleine haben Sie bereits aufgegeben, weil Sie sich
vom letzten Jagdversuch ihres Hundes körperlich noch nicht vollständig erholt
haben. Und dann kommt es doch: das Reh - und aus Ihrem „Hier“ wird ein
hektisches „HIIIIIIER“, woraufhin Ihr Hund direkt den Kopf hochreißt und beim
Erblicken des Rehs auch schon loshetzt. Die Disc-Scheiben in Ihrer zitternden
Hand erzielen diesmal sogar einen Körpertreffer. Doch als wäre er aus Stahl,
prallen die Scheiben am Hund ab. Selbst die sonst so geliebte Fleischwurst,
für die er normalerweise alles tut, halten Sie jetzt wie eine abgewiesene
Einladung in Ihrer Hand. Er hat sich entschieden: gegen die Wurst, für das
Reh. Während sie noch darüber nachdenken, was für ein treuloses Tier Sie
seit Jahren durchfüttern, sich ärgern, dass wir in Deutschland viel zu viel Wild
haben, wütend am Wegesrand stehen und sich schwören, ihn ab morgen
(sollte er denn wiederkommen) nicht mehr abzuleinen, passiert im Körper
ihres Hundes etwas ganz anderes. Etwas, das dem Verliebtsein des
Menschen sehr ähnelt. Auch bei ihm wird ein Hormoncocktail ausgeschüttet,
der Suchtgefahr beinhaltet.
Dieser Cocktail, bei dem auch wieder das Dopamin eine entscheidende Rolle
spielt, bewirkt ein Hochgefühl, körpereigene Opiate machen dabei
schmerzunempfindlich. Es ist ein Feuerwerk der Hormone und lässt den Hund
wie besessen erscheinen. Der Herzschlag beschleunigt sich, der Blutdruck
steigt, durch die Vergrößerung des Lungenvolumens und durch die starke
Durchblutung wird der Körper mit ausreichend Sauerstoff versorgt, um die
maximale Leistungsfähigkeit zu erreichen. Nichts anderes mehr wahrnehmend,
erinnert selbst der Blick an den eines Verliebten.
Unterschiedlicher können die Empfindungen zwischen Hund und Halter in
diesem Moment nicht sein: der eine im Taumel der Glückseligkeit, der andere
voller Sorge. Denn Sie warten ja noch immer, er ist mittlerweile außer Sicht
und ausgerechnet jetzt hören Sie einen Schuss und das Quietschen von
Autoreifen. Von dieser Sorge getrieben senden Sie wie ein Radargerät alle
dreißig Sekunden ein „Hier“ als Information für den Hund, dass Sie noch da
sind. Falls er überhaupt irgendetwas hört, kann er sich sicher also sein, dass
Sie auf ihn warten. Einfach ins Auto steigen und wegfahren wäre sicherlich
sinnvoller, wenn da nicht die Straßen wären und die Angst, dass ihm etwas
passieren könnte.
Menschen sind schlechte Jagdbegleiter
Minuten vergehen (gefühlt sind es Stunden) und dann sehen Sie ihn:
abgekämpft trabt er auf Sie zu, während Sie eine schnelle Gefühlswandlung
durchleben. Die Sorge weicht der Erleichterung, direkt gefolgt von Wut. Leider
sind Hunde sind neben ihren jagdlichen Fähigkeiten sehr talentiert im Deuten
menschlicher Körpersprache. Ihre hervorspringende Halsschlagader erkennt Ihr
Hund auf mindestens fünfzehn Meter und antwortet mit Demutsverhalten. Auf
den Brustwarzen kriechend und mit angelegten Ohren kommt er auf Sie zu.
Man könnte fast den Eindruck gewinnen, er wüsste, dass er etwas falsch
gemacht hat. Eigentlich ist es aber nur ein Indiz dafür, dass er sich nicht
mehr im Jagen befindet, zur normalen Kommunikation fähig ist und dadurch
Ihre drohenden Signale richtig interpretiert. Ansonsten würde er wild hechelnd
und mit leicht irrem Blick auf Sie zu und dann an Ihnen vorbeilaufen, um
weiterzujagen. Sie konzentrieren sich ein letztes Mal und zwingen sich die
mittlerweile übel riechende Fleischwurst aus der Tasche zu ziehen, mit
zusammengepressten Zähne quetschen Sie sich ein „So ist fein“ heraus und
belohnen ihn für sein Zurückkommen. Warum auch immer, schließlich ist er
erst gekommen, als er fertig war und das nur, weil er nicht allein im Wald
leben möchte. Sie wundern sich, warum er Ihnen das immer wieder antut. Er
fragt sich, warum Sie sein Hobby nicht teilen.
Eventuell haben Sie trotz aller Wut auch Verständnis für Ihren jagenden Hund.
Schließlich jagt er nicht, um Sie zu ärgern oder weil er Sie nicht ernst nimmt.
Jagen ist nicht unbedingt ein soziales Problem und lässt auch keine
Rückschlüsse auf die Erziehung zu. Da können Hunde noch so gut im Alltag
kooperieren, stundenlang vor dem Supermarkt ohne Leine liegen und
warten, zuhause unauffällig und ruhig sein, mit Kindern lieb und auf dem
Agility-Platz ein As sein: wenn eine jagdliche Situation entsteht, läuft bei
manchen Vierbeinern das genetisch fixierte Programm ab. Hormongesteuert
sind sie gar nicht in der Lage, anders zu reagieren. Wissenschaftlich lässt
sich das ganz einfach erklären. Der körpereigene Cocktail versetzt den Hund
in eine geradezu zwanghafte Situation, hinterherhetzen zu müssen und
belohnt ihn mit einem rauschähnlichen Zustand. Aber man muss gar nicht
einmal die Wissenschaft bemühen, um das Verhalten ihres Hundes zu
erklären. Manchmal reicht es auch, einem von der Hatz gerade
zurückkehrenden Hund ins Gesicht zu schauen. Dieser Ausdruck in den
Augen, die langgezogenen Mundwinkel: das pure Glück schäumt Ihnen da
entgegen.
Vielleicht hatten Sie ja schon ein- oder zweimal die Chance, das Reh früher
als ihr Hund zu sehen, ihn anzuleinen und damit das Schlimmste zu
verhindern. Doch das hechelnde Wesen am anderen Ende der Leine dann
noch dazu zu bringen, sich auf Sie zu konzentrieren und das Wild keines
Blickes zu würdigen, ist eine ganz andere Sache. Denn wenn ihn die Hormone
schon durchströmen, dann ist er für Ihre Anliegen kaum noch zugänglich.
Oder haben Sie mal versucht, einen verliebten Menschen von der
Notwendigkeit einer nur dreitägigen Reise zu überzeugen, die ihn oder sie
vierhundert Kilometer weg vom geliebten Objekt führen würde? Keines ihrer
Argumente, die teuren Stornokosten, die Vorfreude, die man monatelang über
das bald anstehende verlängerte Wochenende teilte, der Hinweis auf die
Freundschaft, die bei einer Absage schwer geschädigt werden würde…
Nichts wird den von Dopamin durchfluteten Menschen dazu bringen, doch
noch mitzufahren. Nicht einmal, wenn noch gar nicht klar ist, dass das
ganze ein glückliches Ende nehmen wird, der oder die Verliebte
möglicherweise drei Tage unverrichteter Dinge nur seine leere Mailbox
abhören kann, nichts wird ihn von der Nähe des begehrten Menschen
entfernen. Und nun erklären Sie ihrem Hund mal, dass das mit dem Reh
keine gute Idee ist. Dass es im Falle einer Hatz zwei Tage kein Futter und
fünf Tage keinen langen Spaziergang mehr gibt. All das wird ihn nicht vom
Jagen abhalten. Er kann nicht anders, er ist auf der Jagd, nicht nach
Nahrung, sondern nach dem großen Gefühl. So wie wir alle.
Das ist der Grund dafür, dass die meisten Erziehungs- und
Unterbrechungsmethoden bei einem jagenden Hund nicht dazu führen, dass
er nicht mehr jagen will. Sie können niemanden ausreden, verliebt zu sein.
Denn es ist keine vom Verstand zu steuernde Entscheidung, die da gefallen
ist. Wir kriegen das Jagdverhalten nicht aus einem Hund heraus, schließlich
haben wir es auch nicht hineingetan. Was bleibt, klingt nüchtern:
Jagdverhalten lässt sich allenfalls kontrollieren, aber der Wunsch danach
nicht abstellen. Realistisch ist der Anspruch auf Kontrolle über das
Jagdverhalten, also ein lebenslanger Reibungsprozess mit dem Hund. Es wird
ein Kampf gegen seine Genetik und gegen die Hormone bleiben. Und gerade
die werden es Ihnen nicht leicht machen, mit einem Ruf noch in den Kopf
Ihres Hundes zu kommen. Dazu gehört einiges an Vorarbeit, das Trainieren in
realistischen Situationen und ein gutes Timing. Deshalb ein letzter Tipp:
Wenn Sie gerade selbst verliebt sind, lassen Sie Ihren jagenden Hund besser
an der Leine. Es sei denn, Sie haben es auf den Förster abgesehen.